Vierbeiniger Freund gibt einem kleinen Jungen neue Kraft

Hippotherapie hilft kranken Kindern
von FOCUS-Online-Redakteurin Sybille Möckl

Wenn Julien auf Merlin reitet, hat er einfach nur Spaß. Dann merkt er gar nicht, dass die Reitstunde eigentlich eine Therapiestunde auf dem Pferderücken ist. Und Kaltblut-Wallach Merlin der Therapeut.


Julien Lapkowski auf Merlin, Silberstreifen

Ein halbes Jahr lang trug das Pferd Julien Woche für Woche geduldig auf seinem Rücken. Julien leidet seit sieben Jahren unter den Nachwirkungen einer Gehirnblutung. Der Neunjährige ist halbseitig gelähmt. Dank Merlin kann er jetzt endlich wieder aufrecht sitzen. Vorher saß der Junge häufig zusammengesunken da, den Kopf auf seine Knie gelegt. Jetzt hat er wieder Körperspannung. „Das ist ein riesiger Erfolg“, sagt seine Mutter Nadine Lapkowski.

Krankengymnastik auf dem Pferd
Ein Aneurysma löste die Gehirnblutung aus, als Julien zweieinhalb Jahre alt war. Fünf Jahre lang war sein Schädel danach halb „entdeckelt“, so sagen Ärzte zu einer teilweise abgenommenen Schädelplatte. Zuletzt verbrachte Julien ein halbes Jahr in der Neuropädiatrischen Abteilung der Schön Klinik Vogtareuth. Ein halbes Jahr mit intensiver Reha. Das bedeutete für Julien einen Therapiemarathon: Ergotherapie, Musiktherapie, Logopädie, Hunde- und Hippotherapie. „Auf die tiergestützten Therapien hat sich Julien immer am meisten gefreut“, berichtet seine Mutter. „Er war bei der Arbeit mit dem Pferd unglaublich motiviert“, erinnert sie sich. Die Hippotherapie ist eine Art neurophysiologische Krankengymnastik auf dem Pferd, während der sich der Bewegungsablauf des Pferdes auf den Patienten überträgt.

Jeden Dienstag Hippotherapie
Merlin steht auf einem Reiterhof in der Nähe der Klinik. Der Verein Silberstreifen e.V. hat das Therapiepferd im Mai 2008 gekauft, um die Hippotherapie für die Kinder der Neuropädiatrischen Abteilung gewährleisten zu können. Seither fahren die Therapeuten jeden Dienstagvormittag mit einer Gruppe Therapie-Kindern in den Stall, berichtet die Vorsitzende des Vereins, Barbara Pömsl. Neben der Hippotherapie fördert der gemeinnützige Verein auch Kunsttherapie und den Einsatz von Klinikclowns, zusätzlich bietet er ein Betreuungsangebot für Geschwisterkinder. Und er finanziert die Hundetherapie in der Klinik, an der auch Julien teilnehmen durfte.


Dieter Mayr für freundin

Die Hundetherapie schulte vor allem Juliens Feinmotorik. „Julien sollte Leckerlis für den Hund in Schachteln verstecken“, erklärt seine Mutter. Und dazu natürlich vor allem mit seiner schwachen rechten Körperseite arbeiten. Doch das Wichtigste war: Während der Hundetherapie blieb Julien ungewöhnlich lange konzentriert. „Julien hat eine große Konzentrationsschwäche. Aber die hat er in der Arbeit mit den Tieren kaum noch gezeigt.“ Er habe einfach riesigen Spaß an der Arbeit mit den Tieren gehabt und sei deshalb unfassbar motiviert gewesen. Quasi nebenbei verbessern Hund und Therapeut die visuelle und auditive Wahrnehmung der Therapie-Kinder und treiben so die Genesung voran. Auch Barbara Pömsl sagt. „Julien hat in seiner Zeit hier erstaunliche Fortschritte gemacht.“ Viele davon seien auch auf die tiergestützten Therapien zurückzuführen.

Neurologisch kranke Kinder brauchen bessere Lobby – Tribute to Bambi Stiftung unterstützt Verein Silberstreifen
Der gemeinnützige Verein zur Unterstützung und Förderung neurologisch kranker Kinder Vogtareuth Silberstreifen e.V. wurde im Juni 1999 von Eltern erkrankter Kinder und Mitarbeitern der Abteilung gegründet, um den Familien neben der medizinischen Betreuung Entlastung und Hilfe zu bieten. Bisher hat der Verein in 15 Jahren rund 1,6 Millionen Euro an bedürftige Familien weitergeben können. Er finanziert sich vorwiegend über Spenden, zu einem kleinen Teil auch durch Bußgelder und über Mitgliedsbeiträge und Veranstaltungen.

Lebenslange Unterstützung notwendig
Vereinsvorsitzende Barbara Pömsl sagt. „Neurologisch kranke Kinder brauchen eine bessere Lobby.“ Die meisten Menschen wüssten gar nicht, dass ein Großteil der Erkrankten lebenslange Unterstützung bräuchte. „Viele Kranke haben keine Chance auf eine vollständige Genesung.“ Da sei es manchmal schon ein riesiger Erfolg, den Ist-Zustand aufrechtzuerhalten.


Dieter Mayr für freundin

„Vielen Familien geht es zudem finanziell sehr schlecht“, erklärt Pömsl. Denn die neurologische Erkrankung eines Kindes bedeutet für seine Familie nicht nur eine enorme psychische, sondern auch eine finanzielle Belastung. Eltern müssten unbezahlten Urlaub nehmen und hätten teilweise immense Fahrtkosten von ihrem Heimatort nach Vogtareuth zu stemmen, und das häufig über viele Monate. „Deshalb stehen wir im engen Kontakt mit dem Sozialdienst der Neuropädiatrischen Abteilung.“ Er informiert den Verein über Patienten und Patientenfamilien, die Unterstützung brauchen.

Entscheidung für den Sohn
Auch Nadine Lapkowski hat kurz nach Juliens Erkrankung ihren Job aufgegeben, um für ihren Sohn da zu sein. „Beides wäre nicht gegangen“, sagt sie. Umso dankbarer war sie, dass der Verein ihr für das halbe Jahr, das Julien in Vogtareuth verbrachte, eine Bleibe zur Verfügung stellen konnte. Die insgesamt elf Wohnungen, die der Verein für Angehörige von Patienten angemietet hat, sind eines der wichtigsten Projekte. Sie sollen „auswärtigen Familien in direkter Kliniknähe eine Unterkunft bieten, die speziell auf die Nöte und Bedürfnisse der Familien zugeschnitten sein soll“. Die Bleibe darf einerseits nicht zu weit weg von der Klinik sein, um auch im Notfall schnell das Kind zu erreichen. Andererseits soll die nötige Distanz zum belastenden Klinikalltag gewährleistet sein. Allein die Wohnungen verursachen dem Verein Kosten von mehr als 5000 Euro im Monat.


Dieter Mayr für freundin

Riesiges Einzugsgebiet
Die Schön Klinik Vogtareuth betreibt eine der größten Kinderneurologie-Abteilungen Deutschlands. Dementsprechend groß ist das Einzugsgebiet. Juliens Familie etwa kommt aus Frankfurt. Die Abteilung behandelt ein weitreichendes Spektrum an neurologischen Erkrankungen. Ihr Aufgabengebiet umfasst die Diagnostik und Therapie aller Erkrankungen des Gehirns, des Rückenmarks, der peripheren Nerven und der Muskulatur – vom Säuglingsalter bis zum jungen Erwachsenenalter. Dazu gehören Kinder mit Querschnittlähmungen oder schweren Schädel-Hirn-Verletzungen ebenso wie Epilepsie-Patienten. Viele dieser Kinder liegen im sogenannten Wachkoma und sind rund um die Uhr auf die Hilfe von Eltern, Pflegepersonal, Therapeuten und Ärzten angewiesen. Seit wenigen Wochen ist Julien nun wieder zu Hause in Frankfurt. Und nach den großen Erfolgen der Hippotherapie ist Nadine Lapkowski bereits auf der Suche nach einem Therapieplatz in seiner Nähe.

Tribute to Bambi
Die „Tribute to Bambi-Stiftung“ sammelt jedes Jahr Geld für verschiedene soziale Hilfsprojekte – mit dem Ziel, notleidenden Kindern zu helfen. In diesem Jahr unterstützt sie die Flüchtlingsschule ISuS in München, den Verein Silberstreifen in Vogtareuth und den Verein TABEA in Berlin. Die Charity-Veranstaltung, wo für die drei gemeinnützigen Projekte Spenden gesammelt werden, findet am 25. September in Berlin statt.

www.focus.de/familie/erziehung/familie 18.08.2014